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Eine Kirche wechselt Konfession. Zur Gr.-Orth. Allerheiligenkirche in München

Überlagerung der Ostansichten der Griechisch-Orthodoxen Allerheiligenkirche (1993) von Robert Brannekämper und der Allerseelenkirche von Richard Steidle (1929). Originalpläne: Lokalbaukommission München, Zentralregistratur. Nachbearbeitung und Collage © Dr. Korinna Zinovia Weber, 2023

23 avril 2024
Dr. Korinna Zinovia Weber | D'un point vue personnel

Eine Kirche wechselt Konfession. Zur Gr.-Orth. Allerheiligenkirche in München

Kirchenumnutzungen sind in den letzten Jahrzehnten immer wieder in den Schlagzeilen. Nur in seltenen Fällen behält die Kirche dabei ihre Funktion als Gotteshaus bei. Wie vielschichtig ein eben solches Kirchengebäude der jüngeren Geschichte sein kann, zeigt ein Beispiel aus München, das vom Röm.-kath. Ordinariat für eine Gr.-orth. Gemeinde nach ihren Bedürfnissen im ausgehenden 20. Jahrhundert umgestaltet wurde.

Die Griechisch-Orthodoxe Allerheiligenkirche in der Ungererstr. 131 in München, ist eigentlich ein Umbau der besonderen Art: Aus der Römisch-katholischen Allerseelenkirche von 1929 wurde zwischen 1993 und 1995 das neue Gotteshaus für die griechisch-orthodoxe Gemeinde in München. Die Baugeschichte beider Kirchen steht nun im Mittelpunkt eines neuen Buches, das 30 Jahre nach Grundsteinlegung im Oktober 2023 erschienen ist. Mehr als ein Beispiel für lokal verankerte Baukultur, steht der Bau für eine Erfolgsgeschichte gelungener Integration einer religiösen Minderheit – und einem Gestaltungsprozess, der sowohl Nutzende als auch aussenstehende Betrachtende abholt.

Friedrich Kardinal Wetter schreibt in seinem Geleitwort, die Kirche sei die „Frucht ökumenischer Freundschaft. Ökumenische Weite wird auch an ihrer Architektur sichtbar“. Und tatsächlich ist die Kirche eine eigenwillige architektonische Synthese, in der sich verschiedene Einflüsse verflechten: Katholische Formensprache der Nachkriegszeit trifft unter anderem auf die weisse Sehnsuchtsarchitektur, wie man sie auf mancher griechischen Insel findet. Spuren bei der Interpretation führen dabei auch, neben den festen Regeln zum orthodoxen Kirchenbau, zu Vorbildern wie Hans Döllgast, Karljosef Schattner und Alexander von Branca. Gleichzeitig zeugt der Entwurfsprozess des Architekten Robert sen. Brannekämper wie die Postmoderne mit jedem Fassadenstand weiter „versickert“ und sich einer Architektur der 2000er hinwendet.

Eine Kirche wechselt Konfession. Zur Gr.-Orth. Allerheiligenkirche in München

Blick auf die Südostseite der Griechisch-Orthodoxen Allerheiligenkirche in München 2018 © Ingrid Grossmann

Auch die sich an der Stelle vormals befundene Allerseelenkirche überrascht bei genauerem Hinsehen: entworfen vom Architekten Richard Steidle kurz vor der Weltwirtschaftskrise in zwei Stufen – die zweite Stufe wurde nie ausgeführt –, stand sie für einen „verhinderten“ Modernismus in München. Der Stadtrat verlangte vom Ordinariat das geplante Flachdach durch ein Walmdach zu ersetzen, um dem vorherrschenden Kunstverständnis gerecht zu werden. Die Allerseelenkirche verlor ihre Bedeutung, als die katholische Kirchengemeinde in den 1950er Jahren ein paar Hausnummern weiter in ein neues, grösseres Gotteshaus zog.

Eine Kirche wechselt Konfession. Zur Gr.-Orth. Allerheiligenkirche in München

Die Röm.-kath. Allerseelenkirche um 1958, Archiv: Manfred Lamberty

Das im Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg im Allgäu, erschienene Buch „Die Griechisch-Orthodoxe Allerheiligenkirche in München – Ein Bauprojekt der Ökumene als kulturelle und geistige Brücke zwischen Ost und West“ (ISBN 978-3-95976-457-5) schlüsselt in neun Kapiteln den Bau vollständig auf, von seiner Geschichte bis hin zu seiner Gestalt und den prächtigen Ikonen im Innenraum. Inwiefern Beziehungen und gesellschaftliche Gegebenheiten (Gesetze und Mehrheitsmeinungen) ein architektonisches Gebäude beeinflussen wurde mit viel Liebe zum Detail anhand dieser Kirche behandelt. Ein Stück griechisch-orthodoxe Geschichte wird hier anhand ihrer Baukultur mit tiefen Einblicken und illustriert von hochwertigem, unveröffentlichtem Archivmaterial erzählt.

Dr. Korinna Zinovia Weber

Dr. Korinna Zinovia Weber *1990 in München, ist Wissenschaftlerin im Bereich Architektur und Bestandeserhaltung. Nach ihrer Promotion an der EPFL über Massenwohnungsbau der Nachkriegszeit war sie zwischen 2019 und 2023 Lehrbeauftragte und Projektmanagerin an der ETH Zürich. 2022 erhielt sie für ihre Dissertation den Theodor-Fischer-Preis vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München.

Dr. Korinna Zinovia Weber
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